Rumeln-Kaldenhausen in 2 x 45 Minuten

Verfasst am: 2018-04-16  •  Autor: Ferdi Seidelt  •  Fotos: Norbert Schinner, Archiv

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„FCR Duisburg gegen TuS Niederkirchen“! Für Männerfußball-Ohren klang das 1998 eher fremd. Selbst „Tasmania Berlin“ oder „Borussia Neunkirchen“ waren da schon vertrauter. Und wie letztere sich mehr oder weniger erfolgreich in der jungen Männer-Bundesliga tummelten, so überzeugte „Niederkirchen“ in den 90er Jahren in der Belle Etage des Frauenfußballs, eine Meisterschaft 1993 inklusive. Da verwunderte es nicht, dass die TuS-Ladies 1998 das Halbfinale des DFB-Frauen-Pokals erreicht hatten und zum Spiel beim Emporkömmling FCR Duisburg mit großem Repekt, aber auch mit Selbstbewusstsein anreisten – die 0:7-Klatsche gegen Rumeln in der Meisterschaft zwei Wochen zuvor war mental als „einmaliger Betriebsunfall“ verarbeitet worden.
Für damalige Verhältnisse unglaublich war zuerst einmal die Besucherzahl, die der Chronist beim Spiel gegen das wiedererstarkte Niederkirchen verzeichnete. 3000 Besucher am Rumelner Waldborn, unter ihnen große Teile der MSV-Mannschaft mit Publikumsliebling Bachirou Salou, sahen bei angenehmem März-Wetter das Goldene Tor durch die junge Inka Grings. Die Zebra-Kicker gaben sich bei ihrer Stippvisite tiefenentspannt, sie hatten bereits im Februar ihr Halbfinale beim unterklassigen Pokal-Schreck Eintracht Trier (Siege gegen Schalke 04 und Borussia Dortmund!) in einem hochspannenden Elfmeter-Schießen für sich entschieden.
Die Faszination der Löwinnen bestand aus attraktiven Gesichtern. Ganz weit vorne Spielführerin Martina Voss, die mit ihren 100 Länderspielen (4 x Europameisterin, 1 x Vize-Weltmeisterin) und ihrer nationalen Reputation (5 x Deutsche Meisterin, 4 x DFB-Pokal-Siegerin) die Integrationsfigur und Inspiration für weitere Ballkünstlerinnen in Rumeln war. Das Rumelner Eigengewächs Maren Meinert, beteiligt an allen Höhenflügen der Löwinnen, das sich immer mehr entwickelnde Mittelfeld-As Melanie Hoffmann, der „weibliche Gerd Müller“ Inka Grings und die extrem torgefährliche Polin Jolanta Nieczypor bildeten das Herzstück einer Mannschaft, die frischen und offensiven Fußball der Extraklasse präsentierte.
Was denn war so sensationell am Sieg der Frauen in Berlin? Mit den Zebras und den Löwinnen präsentierte sich im Berliner Olympiastadion erstmals eine Stadt „doppelt“. Da machte es im Nachhinein eine Menge Sinn, dass sich der FC Rumeln-Kaldenhausen ab der Spielzeit 1997/98 – die Saison, in der die eingleisige Frauen-Bundesliga vom Stapel lief – aus Marketinggründen in FCR Duisburg umbenannte. Grund: National werbende Sponsoren und das „dörfliche“ Rumeln-Kaldenhausen wollten nicht so recht zueinander passen. Die Meidericher hatten bereits 1967 ihrem Gründernamen das Wort „Duisburg“ hinzugefügt. Die „doppelte Stadt“ gab es in den 25 „Berlin-Jahren“ (1985 bis 2009), in denen die Männer und Frauen ihre Finals am gleichen Tag und im gleichen Stadion austrugen, nur das eine Mal!
Das Pokalfinale von 1998 zwischen dem FCR Duisburg und dem FSV Frankfurt (6:2) gilt unter vielen Frauenfußballfans als das beste Endspiel aller Zeiten. Denn hier gab es Löwinnen-Delikatessen im Sixpack: in der vierten Minute zieht Inka Grings von halbrechts aus 22 Metern ab, der Ball schlägt über der Torfrau oben links im Kasten von Frankfurt ein, 1:0. Drei Minuten später segelt der Ball in den hessischen Strafraum, Jolanta Nieczypor rauscht heran, aus elf Metern ein gefühlvoller Heber mit rechts, 2:0. Dann Minute 18: Maren Meiner wühlt sich durch die Mitte bis in die Box vor, aus 15 Metern zischt das Leder unten rechts zur Vorentscheidung ins Netz. Nach einer halben Stunde ist erneut „Jolle“ dran: aus 14 Metern zieht die Polin den Ball volley in den Winkel – und sich das Trikot über ihre Löwinnen-Mähne, 4:0 gegen den Favoriten! Die zweite Halbzeit sieht noch zwei Kabinettstücke von Grings: Fallseitzieher aus 7 Metern in der 48. Minute und ein perfekt abgeschlossenes Solo an drei Gegnerinnen vorbei in der Schlussminute sorgen für ein furioses 6:2 – wie gesagt, das beste Frauen-Endspiel aller Zeiten!
Bei den Zebras gibt es Fußball paradox: Selten hat man ein Pokalfinale mit zwei so unterschiedlichen Halbzeiten gesehen, selten eines mit einer solch späten und glücklichen Entscheidung. Noch zur Halbzeit scheint nach einer desolaten Vorstellung der Münchner alles auf den ersten Pokalsieg der Duisburger hinauszulaufen. Bachirou „Baschi“ Salou hat Duisburg in der 20. Minute auf Vorarbeit von Uwe Spies in Führung geschossen. Nachdem München den Scholl-Elber-Turbo angeworfen haben, drehen Markus Babbel (70.) und Mario Basler (89.) das Spiel.
Nach einer rauschenden Siegesparty im Ratskeller Charlottenburg (hier konnte Rumeln-Kaldenhausen 2009 erneut jubeln) ging es nach wenigen Stunden Schlaf zusammen mit den Männern in die Duisburger Innenstadt – zehntausende Menschen feierten beide Teams euphorisch. Noch einmal später legte Rumeln-Kaldenhausen ladylike nach: 3000 Menschen lagen sich auf dem Rumelner Marktplatz in den Armen…
20 Jahre später ist das Frauenfußball-Wunder in Rumeln-Kaldenhausen kaum noch präsent. Die Frauen und Mädchen kicken mittlerweile bei und unter dem Namen MSV Duisburg. Hin und wieder ist Maren Meinert im Ort zu sehen, sie pflegt Freundschaften. Und auch Martina Voss wird gerne erkannt. Die heutige schweizer Nationaltrainerin kann einfach nicht vom geliebten halben Hähnchen aus ihrer Kneipe in Rumeln lassen. Bleibt die Frage, ob das sportliche Kleinod, das 2009 immerhin die Champions League gewonnen hat, im Ort nicht bald vollends vergessen sein wird...

Zu unseren Bildern (zum Vergrößern bitte anklicken):
1 – Berlin 1998 - Wir haben den Pokal! Der FC Rumeln-Kaldenhausen steht 1998 erstmals im Berliner Pokal-Endspiel und sogleich im Mittelpunkt des nationalen Interesses. Macher des Sportwunders: Abteilungsleiter Friedhelm Käßberg und Mäzen Jochen Zufall.
2 – Der FCR Duisburg mit Shootig Star Inka Grings macht in Berlin 1998 den ersten von drei Rumeln-Kaldenhausener DFB-Pokalsiegen perfekt. Inka Grings sollte in den folgenden Jahren die erfolgreichste Angreiferin der Bundesliga und der Nationalmannschaft werden.
3 – Martina Voss lebt die Rudel-Löwin – zu den Fans hatte die Frauenfußball-Pionierin immer ein besonderes Verhältnis. Das ist denn auch der Grund, warum sie, neben ihren enormen sportlichen Erfolgen, der „Bernard Dietz des Frauenfußballs“ ist.
4 - Das FCR-Team im Jahr 1998 (hinten von links): Betreuerin Monika Hildner, Michaela Kubat (Angriff, Neuzugang Sportfreunde Siegen), Mareike Gründges (Mittelfeld), Martina Voss (Mittelfeld), Nicole Ferber (Mittelfeld), Jolanta Nieczypor (Angriff), Claudia Mandrysch (Abwehr) und Inka Grings (Angriff); mitte von links: Cheftrainer Jürgen Krust (kam zur Rückrunde, löste nach der Hinserie Michael Wiegelmann ab), Physiotherapeutin Dörte Ullrich, Sandra Albertz (Mittelfeld), Daniela Arndt (Mittelfeld), Ellen van Bergen (Angriff), Maren Meinert (Mittelfeld), Tina Puls (Mittelfeld), Meike Fitzner (Mittelfeld, Sportfreunde Siegen) und Co-Trainer Peter Scheuren; sitzend von links: Jutta Nardenbach (Abwehr), Sabine Winkel (Mittelfeld, eigene Jugend), Andrea Schaller (Tor, Spielvereinigung Kaufbeuren), Ursula McKnight (Tor, Fortuna Hannover), Desiree Sesek (Tor), Melanie Hoffmann (Abwehr), Christa Schäpertöns (Mittelfeld) und Silvia Pfeifer (Abwehr); nicht auf dem Foto: Sandra Alter (Tor), Stefanie Hanke (Mittelfeld, eigene Jugend), Mannschaftsarzt Dr. Raymund Hillen, Sandra Müller (Abwehr) und Nicole Teichert (Tor)

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